• Letzter Landgang.

    Letzter Landgang.

    tl;dr: Ich bin ab April kein Mitglied der Piratenpartei mehr.

    Das war ne wilde Zeit. Ich war 21, als ich zu dieser Partei stieß und kurzerhand den Kreisverband(bei anderen Parteien Stadtverband) mitgründete. Ich war 22, als ich zum stellvertretenden Vorsitzenden wurde und ich war 23, als ich der Vorsitzende dieses Verbandes wurde. Mit 24 ging ich dann in den Landesvorstand, aber nicht ohne auf Kreisebene noch ein paar wichtige Änderungen anzustoßen, wie z.B. ein Büro auf dem Brühl anzumieten und die Aufgaben in gute Hände zu legen.

    Allein in dieser Zeit hab ich 4 Wahlkämpfen beigewohnt oder sie mit organisiert und dabei den großen Aufstieg der Piraten miterlebt. Als sie 2011 mit 7% in die regelmäßigen, bundesweiten Sonntagsfragen einstiegen und auf bis zu 13% kletterten. Ich hab die Berliner im Wahlkampf besucht, kurz vor dem historischen ersten Einzug in ein Landesparlament. So eine hoffnungsvolle Zeit war das. Die Bühnen und Parteitage waren riesig. Und ich durfte sie mit organisieren.

    Abgesang

    Als diese Zeit vorüber ging, und wir aus diesen Parlamenten wieder raus gewählt wurden, fühlte ich mich noch immer verantwortlich. Es war schon tief innerhalb des Abgesanges der Partei, als ich 2014 das erste Mal in den Chemnitzer Stadtrat gewählt wurde. Aber irgendwie war es noch immer hoffnungsvoll. Die AfD spielte noch keine große Rolle, die Gesellschaft war noch in einem vollkommen anderen Zustand. Ich organisierte weiter Parteitage, trat wegen „Irgendwer muss es ja tun“ für den Landtag an, dann 3 Jahre später aus dem gleichen Grund für den Bundestag. In dieser Zeit lockten wir immer wieder auch neue Leute in die Partei. Irgendwie ging es schon weiter.

    Es war mir zu der Zeit klar, dass wir keine Mandate holen würden. Aber es war schon wichtig auf 10% der Podien mit zu sitzen und Kontra geben zu können, wenn es nötig war. Immer öfter auch musste man krude Thesen von AfD-Freunden aus dem Publikum entkräften und dabei auch zeigen, dass man konstruktiv Einfluss nahm. Man saß zwangsweise als außerparlamentarische Opposition zwischen den Stühlen „Die Regierung ist scheiße!“ und „Die AfD ist das völlig falsche Mittel dagegen!“.

    Die Gesellschaft kippte, die Partei nicht

    Heute weiß ich, dass man in diesem Zwiespalt als Partei nicht wirklich agieren kann ohne sich stark anzupassen. Man wird zwangsweise zerrieben. Das Einzige was dagegen half war die Präsenz. So 0,x% Stammwähler hatte man. Da wo man präsent und gut vernetzt ist ging es bis 3% hoch, in nem kleinen Wahlkreis vielleicht auch mal bis 5. Höher zielen war aber unmöglich geworden. Denn Vernetzung erreicht man am besten mit Einfluss. Ein Teufelskreis.

    Die Gesellschaft kippte. 25% der Menschen wählten hier plötzlich Rassisten, Faschisten und Antidemokraten. Die Partei kippte aber nicht mit, weder in die eine, noch in die andere Richtung. Die verblieb stur auf dem Erreichten und versuchte in dem Bereich wieder Stärke zu finden. Man könnte sogar sagen, sie stoppte abrupt die Weiterentwicklung. Ohne die Artikel 13 Geschichte hätte es auch vielleicht nicht für den einen Sitz im Europaparlament gereicht. Die Leute die diese historische Veränderung spürten und darauf eingehen wollten verließen aber eher die Partei.

    Chemnitz für Alle

    Seit der Bundestagswahl 2017 hat sich in meinem Mindset Vieles verändert. Die Piraten waren für mich nicht mehr die Antwort auf die Fragen der aktuellen Stunde. Man machte es mir teilweise sogar zum Vorwurf, dass ich ja doch nur der Pirat bin. Gleichzeitig ging es dem Kreisverband immer schlechter.

    Aber ich hatte Verantwortung. Für meinen Kreisverband, für viele Menschen um mich herum, für diese Stadt. Die Menschen und die Stadt mussten aber überwiegen. Aus dem Grund versuchte ich mit denen, die mir verblieben, diese notwendige Veränderung doch zu vollziehen. Seit dem Moment reifte auch Chemnitz für Alle. Ich suchte größere Netzwerke und wollte den radikalen Gegenentwurf zur AfD bieten. Die anderen Parteien waren auch ziemlich beeindruckt. Die FDP sagte z.B. wir seien „Marketingprofis“, in der Linken rechnete man uns 5 Sitze im Stadtrat aus.

    Schlussendlich wurde es wieder nur ich, da es nicht deutlich mehr Prozente wurden. Das hat mich selbst sehr enttäuscht. Aber ein Erfolg war es trotzdem. Denn wir hatten tatsächlich deutlich mehr Wählerinnen und Wähler erreicht. Wo es 2014 nur 4800 Stimmen waren, waren es diesmal fast 7000. Durch die enorm gestiegene Wahlbeteiligung waren das nur 0,08% mehr, aber ohne diese Veränderung und Anstrengung, wäre uns die gestiegene Wahlbeteiligung wohl kaum zugute gekommen.

    Neue Verantwortung

    Eigentlich sollte die Idee zu Chemnitz für Alle schon im Herbst des Jahres 2018 an die Öffentlichkeit. Doch dann kamen die furchtbaren Ereignisse infolge des Chemnitzer Stadtfestes. Damit man nicht wie Opportunisten aussah und das Parteienspektrum noch mehr zersetzte, lief Vieles auf Sparflamme.

    Alle Energie, alles Geld, alle Zeit floss danach aber in Chemnitz für Alle. Am Ende war vom Piratenkreisverband nichts mehr übrig. Nicht einmal mehr Menschen, die für diesen Verband Verantwortung übernehmen wollten. Diese Leute waren Teil von Chemnitz für Alle, zusammen mit Neuen Gesichtern.

    Was passierte nun mit dem Piratenverband?

    Der Verband beschloss, Ende letzten Jahres auf einer Hauptversammlung, sich aufzulösen. Dazu musste eine Urabstimmung durchgeführt werden. Jedes Mitglied hatte jetzt einen Brief im Briefkasten, auf dem es ankreuzen kann, ob der Verband bestehen bleiben soll. Ich habe zu meiner Stimme auch meinen Parteiaustritt eingepackt.

    Ich bin nicht mehr in der Lage, als Vorbild oder Ermutigung für Parteimitglieder zu dienen oder neue Mitglieder zu werben. Die Struktur lässt sich auch nicht weiter transformieren. Das nehme ich ihr nicht übel. Denn nicht in jedem Bundesland spürt man diesen Veränderungsdruck so stark wie hier.

    Und nun?

    Nun, ich hab noch etwa 4 Jahre Amtszeit und Chemnitz für Alle existiert noch. Das könnte mir als Basis genügen. Vielleicht tut es das, vielleicht auch nicht. Aber nach den 10 Jahren mache ich mir die Entscheidung nicht einfach, das könnt ihr mir glauben. Der Schritt, dieses hochpersönliche Projekt jetzt so umfassend zu beerdigen, tat weh.

    Ich habe dem Landesvorstand, der schlussendlich die Verantwortung über den Kreis Chemnitz der Piratenpartei übernimmt, meine Freundschaft und Kooperation angeboten. Mehr kann ich wohl nicht tun. Ich versuche ohne Groll zu gehen, denn die Partei hat mir 10 spannende Jahre und viel persönliche Entwicklung gegeben. Machts gut.

    P.S. Ich gehe im Beitrag absichtlich nicht detailliert auf politische Forderungen oder menschliche Probleme ein. Denn meine politische Arbeit konnte ich immer frei und ohne Diskriminierung ausleben. Und ja, auch in der Piratenpartei war das nicht immer selbstverständlich, sondern ein Privileg.