Kenia? Vielleicht doch das Beste, auf das wir hoffen konnten.

Die Landtagswahl haben Viele mit Schrecken oder Eifer erwartet. Selten wurde in Sachsen so verbissen Wahlkampf geführt. Und der Grund war ja auch gegeben. Selten hab ich so viele Menschen darüber reden hören, ob man nach der Wahl umzieht oder sogar in den Untergrund geht, weil man sich eine rechtsextreme Regierung nicht antun will. Nach dem ersten Vorgeschmack aus den Stadt- und Gemeinderäten in Sachsen, in denen die CDU unverhohlen mit Mehrheiten durch die AfD pokerte, wurde der Druck noch einmal höher.

Rot-Rot-Grün war verdammt weit weg von Mehrheiten im Landtag. Nun haben wir genau eine Regierungsoption, die ich für gangbar halte. Kenia, oder Schwarz-Rot-Grün. Die SPD müsste sich wieder selbstmörderisch hinein stürzen, und würde weiter staatstragend tun. Oder sie müsste begreifen, dass die Frischzellenkur durch die Grünen helfen kann und die Arbeit, innerhalb und außerhalb einer Koalition, in Zukunft anders aussehen muss. Die sächsischen Grünen würden plötzlich Verantwortung tragen. Sie wären mit der Aufgabe und Herausforderung konfrontiert, FridaysForFuture und ihrem allgemeinen Aufwind eine Stimme geben zu müssen. Die CDU muss Zugeständnisse machen, die größer sind als die bisherigen an die SPD. Allein schon weil sie einen Vertrauensvorschuss bekommen hat, und das auch von Linken-, SPD- und Grünenwählern. Aber dazu später mehr.

Warum keine Minderheitenregierung?

Eine Regierung, die in Sachsen mit Toleranz durch die anderen Fraktionen im Landtag agieren müsste, wäre wohl in den aktuellen Mehrheitsverhältnissen eine ähnlich große Gefahr für die demokratische Kultur und den Zusammenhalt in Sachsen, wie Schwarz-Blau. Denn die CDU hat nun schon mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie keine Berührungsängste hat, notfalls auch Mehrheiten mit der AfD oder sogar noch Schlimmeren herzustellen. Das könnte das Aus für Jugendhilfeeinrichtungen sein, für Rückzugsorte linker Kultur oder alternativer und freier Kultur allgemein, könnte noch mehr für einen Polizeistaat sorgen und am Ende vielleicht sogar unser Bildungssystem nachhaltig vergiften.

Von der Situation, in der sich People of Color, Flüchtende, Migrantinnen und Migranten, LGBTQIA* und linke Aktivistinnen und Aktivisten dann befinden, will ich gar nicht erst anfangen. Für Sie bzw. Uns gäb es vermutlich gar keinen Unterschied zwischen Schwarz-Blau und einer von der AfD tolerierten Minderheitsregierung mit CDU-Beteiligung. Die AfD wird diese Situation auch wieder gut zu nutzen wissen. Nicht umsonst wurden die ersten Interviews wieder geprägt von „Sachsen hat bürgerliche Mehrheiten gewählt!“ um klar zu machen, dass alles abseits von Schwarz-Blau eigentlich nicht die Legitimation hat, die Bürger zu vertreten und man selbst doch Anspruch auf die Macht hätte. Die AfD ist aber nicht bürgerlich, sondern rechtsextrem.

Wenn man auf der anderen Seite der Landtagswahl den Faschismus warten sieht, wirkt Kenia doch gar nicht so übel. Zumindest gewährt diese Koalition der Demokratie und den vorhin genannten Gruppen einen Aufschub und Raum zum Verändern der sächsischen Verhältnisse.

Welche Rolle spielen die tatsächlichen Wählerstimmen und die Wanderung?

Es gab tatsächlich kleine Teile von SPD, Linken und Grünen, die der CDU Stimmen geliehen haben, damit sie stärker wird als die AfD. Das ist eine beinahe tragische Entwicklung, vor allem wenn man davon aus geht, dass die CDU zu einem großen Teil für diese Entwicklung mit verantwortlich ist. Wie beim Desaster von Görlitz ist sowas wohl der aktuelle Weg. Dort wurde ein CDU-Bürgermeister statt einem AfDler nur gewählt, da alle anderen zurück zogen. Das sollten sich diese Parteien aber nochmal ganz genau überlegen. Ich z.B. möchte nicht, dass so eine Variante auch zur OB-Wahl in Chemnitz zum tragen kommt.

Wie weiter in Chemnitz?

Um aus dieser Krise zu kommen, bedarf es einem eiligen Zusammenraufen von SPD, Linken und Grünen. Eine strahlende, Hoffnung-tragende Person von zumindest zwei dieser Parteien wäre notwendig, damit nicht das gleiche Debakel hier in Chemnitz noch einmal passiert. Auf lange Sicht muss sich in Sachsen politisch etwas bewegen, was den Menschen Zukunftsoptimismus, Wertschätzung und ein neues gesellschaftliches Miteinander bringt. Das kann durch mehr Infrastruktur im ländlichen Raum passieren, bessere Löhne, eine Grundrente, die Flaschensammeln und Verwahrlosung im Alter verhindert und vor allem viel Zuhören und Zeigen, dass man zuhört. Auch aus kruden Behauptungen und Forderungen lässt sich doch manchmal ein echtes und umsetzbares Anliegen herausfiltern. Das wird schmerzhaft und viel Arbeit, aber irgendwer muss es ja machen. Und die nächste Landtagswahl kommt bestimmt.