Sind wir digital genug, um in der Corona-Krise das öffentliche Leben aufrecht zu erhalten?

tl;dr: Nein, weit davon entfernt.

Jetzt ist sie da. Die Katastrophe, die uns alle daran erinnert, dass wir noch immer am Anfang der vernetzten Welt stehen. Zu viele Dinge des öffentlichen Lebens sind auf Handlungen von Angesicht zu Angesicht angewiesen. Dabei will ich nicht in Abrede stellen, dass dies manchmal schöner ist. Keine Alternativen für bestimmte Dinge zu haben ist aber tragisch.

Beispiel Homeoffice

Wie viele Leute sind wohl in der Lage, von heute auf Morgen von Zuhause aus zu arbeiten? Technisch gesehen ist das problemlos für die meisten Bürojobs möglich. Aber hat man die sicheren Server und VPN-Tunnel? Die Möglichkeit mit dem Kollegen, der sonst am Nachbarschreibtisch saß, spontan das Videochatfenster zu öffnen um Dinge unmittelbar zu klären? Viele IT-Unternehmen können das, aber sonst? Manchmal scheitert es auch nicht an der vorhandenen Technik, sondern an Menschen, die da nicht mitziehen oder einfachem Misstrauen, was MitarbeiterIn da Zuhause wohl tut.

Beispiel Telemedizin

Eigentlich könnten wir hier auch schon viel weiter sein. Auch hier mangelt es nicht an der notwendigen Technologie, sondern am Menschen und politischen Willen. Den Arzt am Laptop, Tablet oder Handy live zuzuschalten und die Zunge mal in Richtung Linse zu strecken, ist eigentlich nicht tragisch. Stattdessen setzen wir bisherige, gesellschaftliche Regeln außer Kraft. Menschen können sich jetzt einfach per Anruf eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung holen. Oder man geht auf die Onlineplattform findiger Privatärzte, die daran Geld verdienen und klickt sich die AU fix zusammen. Ohne echte Diagnose, einfach so.

Beispiel Politik

Das Beispiel ist mir nun am nächsten. Die kommende Stadtratssitzung wurde abgesagt. In der Ratssitzung hätte man die Jahresabschlüsse einiger Eigenbetriebe verspätet beschließen müssen. Dazu kommen in jeder Sitzung auch Verwaltungsvorlagen mit festem, jährlichen Turnus. Das sorgt zwangsläufig dafür, dass wohl einige Dinge noch problematischer werden und das nur, weil man momentan nicht 70 Leute in einen Raum setzen kann.

Ist das wirklich notwendig? Auch solche Sitzungen könnte man digital oder zumindest teilweise fernmündlich orchestrieren. Das würde auch dafür sorgen, dass Leute, die beruflich gerade außerhalb sind, teilnehmen könnten. Auch ein ansteckendes Virus muss einen nicht vom Klicken auf Ja, Nein oder Enthaltung abhalten. Höchstens mit hohem Fieber sollte man da vorsichtig sein.

Das ist ja dazu auch noch ein Ehrenamt. Nur weil also Jemand Urlaub von seinem Betrieb nimmt und weg fährt, will man nicht gleichzeitig automatisch Urlaub von Sitzungen und der politischen Mitwirkung nehmen.

Ausblick

Eigentlich sind wir ein Land mit recht hoher, sozialer Distanz und einem u.A. ständig auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit getrimmten Gesundheitssystem. Dass es da so schwer scheint, sich durch Technologie noch unabhängiger vom Gegenüber zu machen, erscheint da geradezu paradox. Es fallen öffentliche Veranstaltungen aus, öffentliche Einrichtungen schließen, flächendeckende Schul- und Kitaschließungen kündigen sich an. Die zwingen Eltern zum Daheimbleiben, oder Verfehlen ihren Zweck, da sich aus der Not heraus nur neue Betreuungsgruppen bilden.

Ich hoffe nicht, dass der Leidensdruck zu groß wird. Ich hoffe nicht, dass wir viele Opfer zu beklagen haben. Aber ich hoffe doch, dass wir als Gesellschaft auch Lehren mitnehmen, damit wir zukünftig nicht so große Abschaltungen beim öffentlichen wie auch privaten Leben hinnehmen müssen. Ich bastle derweil mal an meinem Kit für mobile Livestreams.