Kameras? Ne scheiß Idee, egal von wem.

Nun steht mal wieder die Einführung von Überwachungstechnik in den öffentlichen Raum an. Dieses Mal darf die Stadtverwaltung selbst mitspielen, denn das von der GroKo verabschiedete „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ zog der Grundrechtsabwägung kurzerhand die Zähne. Insofern sind wir auch in der beschissenen Situation, dass es im Gegensatz zu früher keine rechtlichen Gründe gegen den Einsatz und Betrieb gibt. Das sächsische Innenministerium bot zusätzliche Schützenhilfe, indem es große Bereiche von Chemnitz zu Gefahrenzonen erklärte.

Aber wie ist die Gefahrenlage denn so? Bundesweit ist die Kriminalät auf dem niedrigsten Stand seit 1990. In Chemnitz ist es so sicher wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Was macht also plötzlich unsere Stadt zum Crime-Hotspot?

Es ist die aufgeheizte Lage im Zentrum, die viele Menschen zu Forderungen nach Überwachung bewegt. An der Zentralhaltestelle ist tatsächlich deutlich mehr los. Es kommt immer mal wieder zu Schlägereien oder Belästigungen. Das ist jetzt keine Besonderheit in einer Stadt unserer Größe, auch statistisch eigentlich kein großes Ding, aber zumindest eine auffällige Veränderung. Aber helfen Kameras in diesem Falle wirklich?

Die Kamera springt nicht zwischen sich zankende Hähne, oder hält die Hand von dem Typen zurück, der sie gerade an den Hintern einer jungen Dame legen wollte. Sie ermöglicht im Höchstfall bessere Aufklärung von Verbrechen, aber nur wenn es auch zur Anzeige kommt. Darauf folgen dann vermutlich in der Regel ein paar kleine Strafen und die Leute lungern dann an einem Ort herum, an dem keine Kamera hängt.

Solches Verhalten gibt es meines Erachtens aber auch nur, weil es in unserem System Menschen gibt, deren Lebensstil zu solchen Situationen führt. Menschen die übermäßig viel trinken und von Niemandem aufgefangen werden. Menschen die nicht in die Lage versetzt sind, ein anderes, passendes soziales Gefüge zu finden, wie einen Verein, eine sportliche Aktivität oder auch nur einen Stammtisch in einer Bar. Das liegt oftmals an Geld, Bildungsweg und Sozialisation. Oder vielleicht haben sie auch nur einfach Prass aufs System und fühlen sich da wohl.

Dass unsere Sicherheitskräfte und Sozialarbeiter das auffangen müssen, was auf höherer Ebene verkackt wird, finde ich jedenfalls nicht fair. Trotzdessen wären die Sozialarbeiter und Präventionsarbeit ein deutlich besseres Ziel für das Geld, welches jetzt in Kameras fließen soll.

Nun haben wir da diesen Antrag:

Das Ordnungsamt und die Polizeidirektion Chemnitz erhalten darüber hinaus Anlass bezogen im Zusammenhang mit der Anzeige und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten die Rechte zum Datenzugriff auf das gesamte Bildmaterial aller im Zusammenhang mit der Konzeption Videoüberwachung genehmigten Videokameras.

Wenn man den Text mal rechtlich genau auseinander nimmt, erhält unter anderem das Ordnungsamt im Zusammenhang mit der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten die Rechte zum Datenzugriff. Denn Anzeige und Zweck der Verfolgung sind hier gleich gesetzt. Aber was sind Ordnungswidrigkeiten?

Die meisten von Ihnen stehen in irgendwelchen Bußgeldkatalogen. Und die meisten richten sich nicht gegen Personen, sondern stellen eine Störung dar. Eine Störung der Ordnung eben. Wird eine Ordnungswidrigkeit nicht gemeldet, oder ist die Handlung die im Bußgeldkatalog steht geschehen, behindert aber keinen, ist sie rechtlich nicht existent. Man geht mal bei Rot über eine Ampel, mal fällt das Stück Müll neben den Papierkorb oder man überzieht eine Minute beim Parken, weil einen eine andere Person anspricht. Allsowas passiert ungeahnet täglich in einer Stadt, ganz ohne dass es die öffentliche Ordnung stört oder es bisher jemand ahnden konnte. Mit dauerhafter Überwachung wäre dies dann nicht mehr der Fall. Plötzlich sähe ein Ordnungsbürgermeister überall die Chance zum Abkassieren.

Das hieße, dass nicht nur tatsächliche Störung verfolgt würde, sondern sogar nur nicht-genehmes Verhalten. Die Vielfalt der Verhaltensweisen und die Freiheit der Menschen würde tatsächlich eingeschränkt werden und eine Infrastruktur aufgebaut, die Probleme überhaupt erst schafft, anstatt sie zu beheben. Ich kann auch nicht gelten lassen „Also ich benehme mich immer ausgezeichnet, da gibt es keinen Grund gegen die Überwachung“. Wie sagte Rosa Luxemburg?

Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht!

Wenn wir dann jetzt mal noch ein Jahr in die Zukunft denken, an einen Zeitpunkt, zu dem unser Stadtrat (nach der aktuellen politischen Lage im Land) deutlich konservativer bis rechter ausfallen könnte, will ich solche Werkzeuge nicht in den Händen eines Ordnungsbürgermeisters Runkel wissen, der grundsätzlich alles einsetzt, was technisch möglich ist. Ich denke nicht, dass ich übertreibe, wenn ich sage: Das vielfältige Chemnitz und das demokratische Miteinander in der Stadt sind in Gefahr und hier sehen wir einen der Sargnägel: Videoüberwachung.

Wenn es nicht so traurig wäre, hätte ich auch über diesen Teil gelacht:

Dieser Betrag beinhaltet die Starkstromanlagen (Eigenstromversorgung, Niederspannungsinstalla-tionsanlagen, Blitzschutz), Fernmelde- und Informationstechnische Anlagen (Kamerasystem, Auf-zeichnungssystem, Videomanagement und Videoüberwachungssystem), LWL-Verkabelung, Tief-baumaßnahmen, Serverraum sowie die Planungsleistungen und Bauüberwachung.

Für die Überwachung der Chemnitzer buddeln wir mal eben die Erde auf, bauen sogar noch einen Serverraum und verlegen Glasfasern. Ein paar Montageplätze für Freifunk-WLAN in der Innenstadt freizugeben scheint aber ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.